Stampflehmwände sind bekanntlich keine neue Erfindung. An vielen Orten auf der Welt wurden bereits vor 10 000 Jahren Gebäude damit erstellt – ein kleiner Blick auf die Geschichte dieses überraschenden Baustoffs.
Architekt: Boltshauser Architekten AG. Fotos: Kuster Frey
Architekt: Boltshauser Architekten AG. Fotos: Kuster Frey
Architekt: Boltshauser Architekten AG. Visualisierungen: nightnurse images GmbH
Fotos: Reto Westermann
Wenn das Volk der Sklavenstadt Yunkai in der Serie «Game of Thrones» Emilia Clarke als Deanerys Targaryen bejubelt oder Russel Crow im Film «Gladiator» einen Schwertkampf austrägt, bildet Aït-Ben-Haddou die faszinierende historische Kulisse. Die südmarokkanische Stadt entstand zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert und umfasst zahlreiche über einen Hügel verteilte Gebäude und Mauern. Was nicht auf den ersten Blick erkennbar ist: Die Bauten bestehen aus Stampflehm. Mit ihren knapp 800 Jahren zählen sie zu den jüngeren Vertretern dieser Bauart. In der anatolischen Stadt Catal Hüyük beispielsweise wurde Stampflehm schon um 8000 vor Christus angewendet. Zu finden ist das Material auch bei Pyramiden aus dem präkolumbianischen Peru oder im Innern der Chinesischen Mauer. Dass die Bauweise auf mehreren Kontinenten und bereits vor Jahrtausenden zur Anwendung kam, ist wohl dem einfachen Prinzip zu verdanken: Stampflehm besteht aus Lehm, Wasser, Kies und manchmal auch Stroh – Materialien, die vielenorts vorhanden sind. Dadurch entfällt der früher schwierige Transport, und auch die Verarbeitung ist simpel: Das Gemisch wird in einer Schalung verdichtet und hat nach der Trocknung eine hohe Druckfestigkeit.
Dass die Bauweise auf mehreren Kontinenten und bereits vor Jahrtausenden zur Anwendung kam, ist wohl dem einfachen Prinzip zu verdanken: Stampflehm besteht aus Lehm, Wasser, Kies und manchmal auch Stroh – Materialien, die vielenorts vorhanden sind.
Wiederentdeckung im Mittelalter
Je nach Region lösten in späteren Jahren Holz- oder Steinbauten die Lehmkonstruktionen ab. In Europa erlebte Stampflehm aufgrund von Holzknappheit im Mittelalter aber eine erste Renaissance. Ein Hotspot war damals die Region Lyon. Von dort gelangte die Bauweise in die Schweiz. Hier kannte man Lehm schon, aber nur als Füllmaterial für Fachwerkbauten oder luftgetrocknete Lehmziegel. Gemäss dem 2019 erschienenen Buch «Pisé. Stampflehm» (siehe Buchtipp) war der Stampflehmbau im 19. Jahrhundert vor allem im Thurgau stark verbreitet. Seine Ära endete europaweit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die hohe Verfügbarkeit von Kohle und modERNE Transportmittel vereinfachten damals die industrielle Produktion von Ziegeln.
Wiederentdeckung in den 1990ern
Die zweite europäische Lehmbau-Renaissance begann in den frühen 1990er-Jahren. Federführend war der Vorarlberger Martin Rauch. Auf die Bauweise stiess er unter anderem als Entwicklungshelfer in Afrika. Der gelernte Ofenbauer war zudem bereits mit Lehm vertraut. Rauch setzte in Zusammenarbeit mit Architekten Stampflehm ERNEut für den Mauerbau ein. Beispielsweise mit Roger Boltshauser aus Zürich. Das Duo realisierte 2001 als erste Bauten in der Schweiz zwei Gerätehäuser für die Sportanlage Sihlhölzli in Zürich. Auch bei anderen Projekten setzte und setzt Boltshauser auf Lehm – etwa beim nicht realisierten Entwurf für das Ozeanium in Basel. Andere Schweizer Architekturbüros liessen sich ebenfalls inspirieren. So etwa Herzog & de Meuron beim 2014 realisierten Kräuterzentrum für Ricola in Laufen oder die junge Architektin Saikal Zhunushova aus Winterthur mit Projekten in Bauma und in Kirgistan. All diesen jüngeren Stampflehmbauten gleich ist die grösstenteils händische Fertigung – fast so wie schon vor Jahrtausenden. Mit der roboterunterstützten Herstellung von Stampflehm-Elementen für den 2022 fertiggestellten Neubau von ERNE Holzbau in Stein AG hat hierzulande ein neues Kapitel begonnen (siehe Haupttext). Die jahrtausendealte Bautechnik schafft so den Schritt ins digitalisierte Bauen des 21. Jahrhunderts. Und wer weiss: Vielleicht dient die Kombination aus Robotertechnik und uraltem Baustoff dereinst auch einmal als Kulisse für einen Science-Fiction-Film?
Buchtipps
Schreiben Sie einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.