Unterschiedliche Nutzergruppen, gleiche Grundidee: Die beiden modularen Systeme «Motirō» der Hochschule Luzern und «Pixel» von Bene aus Österreich machen Schluss mit monofunktionalen Möbeln – sie sind Hocker, Regal, Treppe, Tisch und noch viel mehr in einem.

Bilder: Pixel, Bene GmbH Wolfgang Zlodej / Motiro, Selina Lutz

Kubische Form, naturbelassenes Holz, modular und  beliebig kombinierbar – auf den ersten Blick scheinen die beiden Möbelsysteme eng miteinander verwandt zu sein: das System, welches das Kompetenzzentrum für Typologie und Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern (HSLU) für die modulare Spiel- und Lernlandschaft Motirō geschaffen hat, und das modulare Möbelsystem Pixel des österreichischen Herstellers Bene. Interessanterweise entstanden beide fast zum gleichen Zeitpunkt – trotzdem sind sie unabhängige Entwicklungen mit einer eigenen Entstehungsgeschichte und unterschiedlichem Zielpublikum.

Sperrholzbox als Basis

Motirō, dessen Name aus der Familie der südamerikanischen Tupi-Guarani-Sprachen stammt und sinngemäss «Gemeinschaftswerk» heisst, wurde als Spiel- und Lernlandschaft für Flüchtlingskinder entwickelt. «Im Rahmen von Untersuchungen haben wir festgestellt, dass in Asylunterkünften oft ein Lern- und Rückzugsort für Kinder fehlt oder solche Räume bei Platzmangel schnell einmal für andere Zwecke genutzt werden», sagt Selina Lutz, Mitentwicklerin der Spiel- und Lernlandschaft und wissenschaftliche Mitarbeiterin am CCTP. Die erste Spiel- und Lernlandschaft nach dem Motirō-Konzept wurde im Dezember 2019 im schwyzerischen Einsiedeln eingeweiht und wird dort erprobt. Motirō soll später aber einmal weltweit zum Einsatz kommen – etwa in weiteren Asyl- und Durchgangszentren oder Schulen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Das System ist deshalb so konzipiert, dass es von lokalen Handwerkern mit einfachen Werkzeugen und dem verfügbaren Plattenmaterial hergestellt werden kann. Auf Beschläge oder Leim verzichtete man konsequent – alle Bauteile bestehen aus Plattenmaterial und sind nur verschraubt.

Pixel hingegen entsprang einem Workshop des Möbelherstellers Bene im Jahr 2015. Das Unternehmen suchte nach neuen Ansätzen und lud auch externe Experten aus verschiedensten Bereichen ein. Im Raum stand die Frage, welches Umfeld Menschen brauchen, um kreativ sein zu können. Basierend auf den Resultaten des Workshops entwickelten Didi Lenz, Head of Innovation and Design bei Bene, und der Designer Christian Horner aus Wien ein modulares System, das auf Holzboxen basiert. Ergänzt werden diese unter anderem durch Platten, Aufsätze und Kissen. «Die einzelnen Kuben lassen sich wie Legosteine nebeneinander stellen oder aufeinanderschichten», sagt Lenz.

Angenehmes Lernumfeld

Auch Motirō basiert auf einem kubischen Basismodul, umfasst aber insgesamt vier Grundelemente: einen Hocker, eine Bank und zwei unterschiedliche Tische. Gemeinsam sind ihnen die seitlichen Rahmenelemente mit gerundeten Ecken. Analog zu Pixel lassen sich die Basismodule von Motirō aneinandersetzen oder aufeinanderstapeln. Tisch, Bank und Stuhl sind zudem so konzipiert, dass sie, je nachdem wie sie aufgestellt werden, verschiedene Funktionen haben. So ist der Hocker auch ein Stuhl in Kindergrösse oder eine Aufstiegshilfe, um etwas aus einem Regal zu nehmen.

Die Spiel- und Lernlandschaft in Einsiedeln ist in zwei miteinander verbundenen Containern auf dem Parkplatz der Asylunterkunft untergebracht. Im Innern stehen den Wänden entlang vier verschieden konfigurierte und auf die Motirō-Bausteine abgestimmte raumhohe Regale. Jede Regalwand umfasst ein anderes Angebot, das sich nach den unterschiedlichen Lernstufen richtet. In den Regalen können die Hocker, Tische und Bänke nach Gebrauch versorgt werden, ebenso die zugehörigen Kissen und Platten, mit denen sich aus den Modulen grössere Tische oder Sitzgelegenheiten bilden lassen. Eines der vier Regale ist zudem so konzipiert, dass kleine, geschützte Arbeitsnischen entstehen, bei denen die Tablare als Arbeitsflächen dienen. Ergänzt wird das Angebot durch eine warme Beleuchtung, Vorhänge, einen Beamer und einen Holzboden, auf dem es sich angenehm sitzen oder spielen lässt. «Es war uns wichtig, einen Raum zu schaffen, der ein angenehmes Lernumfeld bietet», sagt Selina Lutz vom CCTP. Die Unterbringung in Containern ist für Motirō aber kein Muss: Wenn Platz vorhanden ist, kann die Lernlandschaft auch in bestehenden Räumen eingerichtet werden. «Dank der Modularität lässt sich Motirō einfach an verschiedene Raumkonfigurationen anpassen», sagt Lutz. Aktuell entsteht so beispielsweise eine weitere Lernlandschaft in der Asylunterkunft im schwyzerischen Morschach, dem zweiten Testobjekt der HSLU. Das Monitoring der zwei Projekte laufen vorerst für ein Jahr, danach möchte die HSLU Bilanz ziehen und die angepassten Pläne für Motirō anschliessend frei zugänglich machen, sodass die Spiel- und Lernlandschaften überall lokal gebaut werden können. Eines zeigt sich aber jetzt schon: Den Kindern gefällt Motirō – wohl nicht zuletzt, weil sie mit den Möbelelementen und den Kissen in der Lernlandschaft wunderbar Hütten bauen können.

Vom Workshop in die Wohnung

Auch bei Pixel soll der Spieltrieb geweckt werden. Das Zielpublikum ist aber ein anderes: Ursprünglich war das modulare System vor allem für Räume gedacht, in denen Workshops stattfinden. Deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten ihrer Kreativität nicht nur am Whiteboard freien Lauf lassen, sondern auch beim Zusammenstellen der Infrastruktur für den Workshop. Denn mit wenigen Griffen entsteht aus den Pixel-Bausteinen etwa ein Stehtisch für eine Diskussion oder eine kleine Tribüne, auf der die Teilnehmenden während Präsentationen sitzen können. «Durch den spielerischen, kreativen Zugang ist Pixel ein ‹Eisbrecher›, der verkrustete Strukturen in Unternehmen aufzubrechen hilft», sagt Didi Lenz. Das sei etwa beim Abbau von Hierarchien oder bei abteilungsübergreifenden Themen hilfreich. Pixel, das sich stark von der übrigen Bene-Kollektion abhebt, kommt heute aber weit über Workshops hinaus zum Einsatz. Etwa auch für die Möblierung von Büro- oder Wohnräumen. Denn die Vorteile liegen auf der Hand: Da Pixel kein monofunktionales Möbel, sondern ein modulares System ist, kann die Einrichtung jederzeit einfach neuen Wünschen angepasst werden. Und beim Umzug dienen die Kuben gleich noch als Transportbehälter. 

Die einzelnen Kuben lassen sich wie Legosteine nebeneinander stellen oder aufeinanderschichten


Selina Lutz, CCTP, Hochschule Luzern

«Motirō»: vom Prototyp bis zur Nutzung.

Bilder: Selina Lutz

Durch den spielerischen, kreativen Zugang ist Pixel ein ‹Eisbrecher›, der verkrustete Strukturen in Unternehmen aufzubrechen hilft

Didi Lenz, Bene

Pixel: ein modulares System für dynamische Raummöblierungskonzepte.

Bilder: Bene GmbH Wolfgang Zlodej

Motiro

Masse Basismodul: 400 x 400 x 400 mm
Material: Seekiefer-Sperrholz
Zugehörige Elemente: Hocker, Bank, L-Tisch, T-Tisch, Tisch- und Bankplatten, Kissen
Design und Entwicklung: Institut CCTP der Hochschule Luzern

Weitere Informationen: Weblink

Pixel

Masse Basismodul: 360 x 360 x 381 mm
Material: Kiefernsperrholz
Zugehörige Elemente: Box mit seitlichen Öffnungen, halbhohe Box, Tablare, Aufsatzplatte, Rolluntersätze für eine oder zwei Boxen, Multifunktionsplatte, rollbares Rack, Kissen, Sitzauflage, verschiedene Accessoires zur inneren Aufteilung der Boxen, Whiteboard mit Gestell
Design und Entwicklung: Christian Horn

Weitere Informationen: Weblink

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