Hochhäuser und Vorfabrikation prägten gerade im Kanton Zug, wo Fritz Stucky und Rudolf Meuli Mitte der 1950er-Jahre das Variel-System entwickelten, den Bauboom der Nachkriegsmoderne. Heute stehen viele dieser Bauten wegen der Siedlungsverdichtung und der Energieertüchtigung unter grossem Druck. Es scheint nicht leicht, den richtigen Umgang mit diesen, meist aus Beton erstellten Gebäuden zu finden. Viele Menschen, darunter auch Hauseigentümer, äussern ihr Unverständnis, wenn ein Gebäude der Nachkriegsmoderne ins Inventar der schützenswerten Bauten aufgenommen wird, und deshalb bei einer Sanierung spezielle Sorgfalt gefragt ist.

Gerade angesichts der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte sollte es jedoch einleuchten, «dass wir es uns schlicht nicht mehr leisten [können], Bauten nach wenigen Jahren abzureissen und neu zu erstellen», wie Felix Koch vom Vorstand des Zuger Heimatschutzes im Gespräch mit Buchautor Michael Hanak darlegt. Die Bereitstellung von Baumaterialien ist weiterhin so aufwendig, dass Gebäude erst über einen längeren Nutzungszyklus hinweg als nachhaltig gelten. Wie man diesen beziehungsweise den Lebenszyklus dieser Bauten verlängern kann, darum geht es im vorliegenden Band.

Am Beispiel von 18 Bauten erzählen die Herausgeber die Geschichte des Baubooms in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; ebenso zeigen sie auf, wie die Gebäude später umgebaut oder umgenutzt wurden. Dokumentarische Baufotos der Villa Mijnssen berichten etwa, wie das Haus mit einem Kran an einem Sommertag im Jahr 1967 aus 13 vorfabrizierten Raumzellen zusammengesetzt wurde. Drei Monate später konnte die Familie Mijnssen einziehen. Das Aufsehen und die Bewunderung, die dieser Aufbauprozess in der Bevölkerung hervorrief, kann man sich gerade deshalb gut vorstellen, weil uns auch heute noch Zeitraffer von Modulaufbauten faszinieren. Fritz Stucky, der Architekt der Villa, hatte unter anderem bei Frank Lloyd Wright studiert. Kein Wunder erinnert der Bau am Ufer des Zugersees an die Case-Study-Häuser. Auch kam hier das System Variel erstmals in ausgereifter, schlüssiger Form für ein Einfamilienhaus zur Anwendung. Die Familie hat das Haus gut unterhalten und wo nötig mit Feingefühl eingegriffen. 1993 wurde beispielsweise aus den nicht mehr benutzten Kinderzimmern im Untergeschoss eine Einliegerwohnung.  

Auch der Kantonsschule Menzingen, die bis 2006 das renommierte Lehrerinnenseminar Bernarda beherbergte, sieht man auf den ersten Blick nicht an, was alt und was neu ist. Als 2010 ein Wettbewerb für den Umbau ausgelobt wurde, war unbestritten, dass die im Geist der Moderne komponierte Anlage mit strenger Linienführung und reduzierter Materialität als Baudenkmal erhalten bleiben sollte. Doch das vorgelegte Raumprogramm erforderte eine Transformation. Mit wenigen konzeptionellen Änderungen und grossem Respekt vor dem Bestand gelang es Bünzli & Courvoisier, die gewandelte Schulnutzung unterzubringen: In die einstige Kapelle passte die Mediathek, im Schultrakt wurde die Struktur neu organisiert, eine zusätzliche Doppelturnhalle wurde unterirdisch angelegt, und ein Neubau mit weiteren Unterrichtszimmern ersetzte volumengleich den bisherigen Wohntrakt. So entstand ein zeitgemässer Lerncampus, an dessen Komposition sich seine Entstehungsgeschichte aber immer noch ablesen lässt.

Mit diesen beiden herausgepickten und 16 weiteren Baugeschichten möchten die Herausgeber der Publikation zwei Dinge erreichen: die Qualitäten der Nachkriegsarchitektur einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen; und Bauherren und Investorinnen für einen sorgfältigen Umgang bei der Sanierung oder Umnutzung von solchen Bauten motivieren. Wir sind zuversichtlich, dass es ihnen mit dieser sorgfältig gestalteten, reich bebilderten und abwechslungsreichen Publikation gelingen wird.

Bibliographie

«bewahrt, erneuert, umgebaut. Blick auf die Nachkriegsarchitektur im Kanton Zug», Bauforum Zug, Zuger Heimatschutz (Hrsg.), mit Texten von Michael Hanak und Bildern von Guido Baselgia, Edition Hochparterre, 2020, Fr. 49.–

www.hochparterre-buecher.ch

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