Ein gelungenes Beispiel, wie man mittels Aufstockungen gegen die Wohnungsnot vorgehen kann, steht in Frankfurt am Main. Indem ein Teil der Platensiedlung aus den 1950er-Jahren um zwei Geschosse aufgestockt und mit Kopfbauten erweitert wurde, entstanden auf einen Schlag knapp 700 zusätzliche Wohnungen. Eines von Deutschlands grössten Nachverdichtungsprojekten.
Dank der Neubauten, die die Zeilen abschliessen, entstand in den Innenhöfen ein autofreier, grün aufgewerteter Raum, den die vergrösserte Bewohnerschaft mehr denn je benötigt.
Fotos: Lisa Farkas
Die Häuser sollten am Ende nicht aussehen, als hätten sie Hüte auf.
Stefan Forster, Architekt
Die Platensiedlung, eine ursprünglich offene Zeilensiedlung, wurde in den 1950er-Jahren für Soldaten und Angehörige der US-Armee errichtet. Nach dem Abzug des Militärs in den 1990er-Jahren wurde sie zunächst an den Bund und später an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding verkauft. In den letzten Jahren hat die ABG zusammen mit Stefan Forster Architekten aus Frankfurt am Main den nördlichen Teil der Siedlung transformiert und erweitert. Dafür wurden sie mit dem Award Deutscher Wohnungsbau ausgezeichnet, dem ersten Architekturpreis für Architekten und Auftraggeber im Bereich Geschosswohnungsbau.
Verdichtet und städtebaulich gestärkt
Fast ohne zusätzliche Fläche versiegeln zu müssen, konnten 688 neue Wohnungen erstellt werden. Diese enorme Nachverdichtung war dank zwei zentraler Massnahmen möglich. Erstens wurden die 19 dreigeschossigen Zeilenbauten um zwei Geschosse erhöht. Nachdem ihre Fundamente verstärkt worden waren, setzte man den Gebäuden anstelle des bisherigen Satteldachs Holzmodule auf. Zweitens erweiterten die Architekten die Zeilen mit Endhäusern, Brückenbauten und Torhäusern. Mit diesem Gestaltungsentscheid hat die Siedlung auch städtebaulich gewonnen. Dank der Neubauten, die die Zeilen abschliessen, entstand in den Innenhöfen ein autofreier, grün aufgewerteter Raum, den die vergrösserte Bewohnerschaft mehr denn je benötigt. An der Aussenseite, entlang der Platenstrasse, bilden die neuen Volumen eine klare städtische Bauflucht, an der öffentliche Nutzungen wie Läden, Gewerberäume, Kita, Mietertreff und Cafés angesiedelt sind. Die Ergänzungsbauten dienen also nicht nur der Verdichtung, sondern trennen zwischen privat-gemeinschaftlich und öffentlichen Räumen.
Frühzeitig informiert, gut durchmischt
Um langjährige Bewohnerinnen und Bewohner für neue Projekte zu gewinnen, gibt es gemäss Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München, nur eine Möglichkeit: frühzeitig informieren, immer und immer wieder. Genau das hat die ABG vorbildlich gemacht. Da die Leitungen für die Aufstockungen von aussen verlegt wurden, konnten alle in ihren Wohnungen bleiben. Wer wollte, hatte aber auch die Möglichkeit, in eine Ersatzwohnung umzuziehen. Zudem erhielten alle Bestandsmieter neue Fenster, um die Bauzeit – rund ein halbes Jahr pro Haus – lärmtechnisch möglichst gut zu überstehen. Während diese Phase war die Miete reduziert, und am allerwichtigsten: Als alles vorbei war, musste niemand mehr Miete bezahlen als zuvor. Die Hälfte der neuen Wohnungen sind subventioniert, 177 weitere sind für Studierende reserviert, der Rest frei finanziert. Durch diesen Mix wird die vormals sehr homogene Bewohnerstruktur vielfältiger, ein weiterer Gewinn.
Kurze Lieferwege, schnelle Montage
Die Holzmodule aus Brettsperrholz wurden in einer eigens errichteten, nur zehn Fahrminuten entfernten Feldfabrik vorgefertigt. Von dort konnten die LKWs die einzelnen, zu 80 Prozent vormontierten Module nach Bedarf anliefern. So war es möglich die zwei Geschosse zwischen September 2018 und Januar 2020 – innert nur 15 Monaten – auf den 19 Bestandsgebäuden zu erstellen. Eine eindrückliche Organisation und Leistung! Stefan Forster und sein Team sammeln bereits seit den 1990er-Jahren Erfahrungen mit dem Umbau von Plattenbauten und setzen sich deshalb schon länger mit den Vorteilen von Bausystemen auseinander. In industriell vorgefertigten Systemen sieht Forster gemäss einer Aussage im «Deutschen Baublatt» gar die einzige Chance, die Wohnungsnot in den Griff zu kriegen. Die Zusammenarbeit mit Modulbauern habe zudem den Vorteil, dass die Architekten sich wieder auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren könnten: auf die städtebauliche Einbindung, die Proportionen und die Wahl der Materialien. In der Frankfurter Platensiedlung liess er den gesamten Baukörper einheitlich weiss verputzen. «Wir wollten die Aufstockungen von aussen so wenig wie möglich zeigen», erklärte Stefan Forster in einem Interview. «Die Häuser sollten am Ende nicht aussehen, als hätten sie Hüte auf.» Dass sie nun etwas kistenartig wirken und der ursprüngliche Charakter der Siedlung verloren ging, ist die Kehrseite der Medaille. Der Gestaltungsentscheid wirkt, da der Aufbau trotz einheitlicher Fassade klar erkennbar ist, wie ein Kompromiss zwischen «Alt und Neu zeigen» und «nicht zeigen». Dass es andere, ästhetisch genauso valable Lösungen gibt, beweisen verschiedene Projekte in der Schweiz, etwa die Aufstockung der Siedlung Lindendorf in Ostermundigen oder der Kolonie 1 und 3 in Zürich-Wiedikon. Schade ist auch, dass die Bauherrschaft auf der grossen, dazu gewonnenen Dachfläche keine Photovoltaik vorsah.
Der Vorteil von Aufstockungen: Ich muss keine zusätzlichen Flächen versiegeln, um Wohnraum zu schaffen.
Frank Junker, Vorsitzender AGB Frankfurt Holding
Aufstockung und Erweiterung Platensiedlung, seit 2018
Sudermannstrasse 1–42 / Stefan-Zweig-Strasse 1–17, Frankfurt am Main
Bauherrschaft: ABG Frankfurt Holding GmbH
Architektur: Stefan Foster GmbH, Frankfurt am Main, Mitarbeit: Jörg Artmann, María Aparicio Álvarez, Joaó Aires, Frank Baum, Denis Jugović, Julian Kusnawijaya, Rubén Robledo Ibáñez, Krisztina Szalai, Fernando Diaz Vallino
Nutzungen: 688 Wohnungen, Ladenzeile, Gewerbe, Anwohnertreff, 2 Kitas
Geschossfläche (BGF): 59 100 m²
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