Die dreitägige Wanderung führt uns in wenig bekannte Täler und auf Höhen nördlich von Lugano. Es erwarten uns überraschende Ausblicke auf die Tessiner Seen und den Comersee – und am Fusse des Monte Bar eine neue Hütte von Atelier PeR.

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Die Panoramasicht aus der Capanna Monte Bar.

Bild: Simone Mengani

Das Panorama auf Lugano, sein Seebecken und die Halbinsel Collina d’Oro eröffnet sich uns mühelose und fast ohne Schweisstropfen. Dank der Standseilbahn, mit der wir den Luganer Hausberg Monte Bré «bezwingen», sparen wir uns rund 650 Meter Aufstieg. Das Dorf Brè, das heute zur Stadt Lugano gehört, hat seinen ursprünglichen Charakter erhalten. Wer sich etwas umsehen möchte, findet neben zahlreichen Gasthäusern auch Kunstwerke lokaler Künstler, etwa Fresken von Joseph Birò in der Chiesa di San Fedele oder das Œuvre von Wilhelm Schmid (1892–1971), einem Vertreter der Neue Sachlichkeit und des Magischen Realismus. Allzu lange verweilen wollen wir angesichts der ersten Tagesroute aber nicht.

Von hier geht es erst durch Kastanien- und Eichenwälder und später im Zickzack über eine steile, von Weitem sichtbare, baumlose Bergwiese auf den Monte Boglia. Auf dem höchsten Punkt lässt uns der Blick zurück kurz den Atem stocken. Selbst wer den Luganersee zu kennen meint, wird von seiner Grösse und Ausdehnung überrascht: Zu sehen ist nicht nur das grosse Seebecken, das sich östlich bis Porlezza und südlich bis Porto Ceresio erstreckt. Hinter der Collina d’Oro blitzen auch die blauen Seezipfel von Ponte Tresa und Agno hervor, und dahinter deutet ein silbriger Streifen den Lago Maggiore an. Die Mittagsrast auf dem Gipfel gibt uns genug Zeit, die Realität mit der Karte zu vergleichen und eins übers andere mal zu schauen und zu staunen.

Die «Denti della Vecchia» sind das südlichste Klettergebiet der Schweiz.

Bild: Stefano Ember

Die Alte hat reichlich Zähne

Die grösste Steigung und gut ein Drittel des Wegs haben wir hinter uns. Nun geht es erst leicht abwärts durch eine Graslandschaft und Erlenbüsche, bis wir auf der Ebene Pian di Scagn stehen. Unter uns liegt die Hütte der Alpe Bolla, die im Sommer geöffnet hat und Tessiner Spezialitäten serviert. Doch wir gehen weiter der italenisch-schweizerischen Landesgrenze nach. Bald wird der Weg schmaler und wir sind umgeben von steilen Felsen, wie wir sie im Hinterland von Lugano nicht erwartet hätten: die Denti della Vecchia. Bizarre Skulpturen wachsen rechts und links von uns empor; entfernt mögen sie an Zahnstummel erinnern, was den Namen der Gebirgskette – die Zähne der Alten – erklärt. Der Pfad ist gut markiert, aber zum Teil ausgesetzt. An einer der senkrecht abfallenden Wände erblicken wir Menschen, die am Seil klettern. Die Zacken sind das südlichste Klettergebiet der Schweiz, schon seit den 1930er-Jahren wird hier die Felsen hochgekraxelt. Es eignet sich allerdings nicht für Anfänger, weshalb wir unseren Weg fortsetzen. Am Ende des Grats empfängt uns eine schöne Alpwiese mit schottischen Hochlandrindern. Dahinter befindet sich unser erster Übernachtungsort, die einfache, aber gemütliche Capanna Pairolo – eine privat geführte Berghütte.

Blumenzauber und Grenzschlängeln

Nach einer ruhigen Nacht führt uns der Weg am zweiten Tag erst durch Kalkstein-Landschaften und steile, trockene Wiesen, wo seltene Pflanzen wie Enzian, Gladiolen, Lilien oder Steinbrech wachsen. Beim italienisch-schweizerischen Grenzpass San Lucio laden uns ein kleiner See und eine Kapelle zum Verweilen ein. Letztere steht auf italienischer Seite und ist reich mit Fresken geschmückt. Im Sommer wird hier das Fest von San Lucio, dem Schutzpatron der Sennen, gefeiert.

Während wir auf der Flanke zum Monte Gazzirola aufsteigen, sehen wir erstmals nicht nur ins Val Colla auf der Tessiner Seite, sondern auch ins italienische Val Cavargna und weiter bis zum Comersee. Wir können uns fast nicht sattsehen und machen etwas unterhalb des Gipfels unsere zweite Rast.

Weiter geht in leichtem Auf und Ab dem Grat entlang zum Passo di Pozzaiolo und bis zur Cima Moncucco. Die kahlen Hänge unter uns zeugen immer noch von der masslosen Abholzung im 19. Jahrhundert. Mit dem Holz wurde Holzkohle für die Metallgiessereien im Val Colla produziert. Auf dem Monte Bar angekommen geniessen wir nochmals die rundum freie Sicht, bevor wir über steile Wiesen zum Highlight unserer Tour absteigen: zur Capanna Monte Bar. Die Vorgängerhütte wurde 1936 vor allem als Unterkunft für Skifahrerinnen und Skifahrer errichtet, da der SAC Ticino dort die erste Skischule des Kantons eröffnet hatte. 80 Jahre später erbauten Carlo Romano und Olivero Piffaretti vom Atelier PeR aus Mendrisio die neue Hütte. Doch bevor wir ihr Inneres erkunden, lädt uns die grosse Terrasse nochmals ein, das 180°-Panorama zu bewundern. Im Westen erblicken wir gar die 4000er der Walliseralpen.

Geissentritt und Böller

Am dritten Tag dürfen wir es etwas ruhiger angehen. Einerseits wollen wir Hütte und Aussicht vor unserem Abstieg ins Tal nochmals in vollen Zügen geniessen; andererseits ist die heutige Route im Vergleich zu den vorgehenden Tagen ein Klacks.

Im Laufe des Vormittags beginnen wir den Abstieg auf wieder breiteren Wegen. Beim Kreuz Motto della Croce, das schon von Weitem sichtbar ist, machen wir Rast, bevor wir auf schmalem Pfad steil in die Tiefe steigen. Wie eine Geissenherde reihen wir uns hintereinander auf und setzen vorsichtig Fuss vor Fuss. Dazwischen immer wieder der Blick nach vorn: Mit jedem Atemzug saugen wir das wieder enger werdende Panorama ein. Kurz vor der Ebene A Piàn Passamònt passieren wir endlich wieder mal ein Stück Wald.

Kurze Zeit später schlängelt sich ein lieblicher Weg durch Alplandschaften, Weiler und offene Birkenwälder zum Gola di Lago. Die Gegend ist nicht nur wegen ihres Torfgebiets bekannt; nach der Generalmobilmachung vom 1. September 1939 erlangte sie auch militärische Bedeutung: Die Topografie machte hier eine kaum überwindbare Abwehrlinie von Ponte Brolla über Indemini, Mezzovico, Gola di Lago bis nach Gandria möglich. Heute absolvieren hier die Gebirgsgrenadiere ihre militärische Aus- und Weiterbildung, was nicht zu überhören ist.

Nach einem letzten steilen Abstieg durch Kastanienwälder erreichen wir den Endpunkt unserer Tour, das Dorf Medeglia.

Informationen zur Tour

Anreise: mit Bahn bis Lugano, mit Bus via Castagnola bis Suvigliana, mit Standseilbahn bis Monte Bré
Rückreise: ab Medeglia, Paese mit Bus, ab Rivera-Bironico mit S-Bahn nach Bellinzona oder Lugano
Route:
1. Tag: 6 h, 11,6 km, aufwärts 1250 m, abwärts 800 m
Brè Paese, 805m – Monte Boglia, 1520m – Denti della Vecchia, 1430 m – Capanna Pairolo, 1347m
2. Tag: 6,5 h, 17 km, aufwärts 1550 m, abwärts 1300 m
Capanna Pairolo, 1347 m – Passo San Lucio, 1541 m – Gazzirola, 2116 m – Monte Bar, 1816 m – Capanna Monte Bar, 1600 m
3. Tag: 4 h, 11 km, aufwärts 200 m, abwärts 900 m, Route: Capanna Monte Bar, 1600 m – Motto della Croce, 1393 m – Gola di Lago, 975 m – Medeglia, 703 m
Abstiegsvarianten ab Capanna Monte Bar siehe Link oder über die Plattform des SAC-CAS.

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