Gut sechzig Prozent der Menschen in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbatar leben in Jurten am Rand der Stadt. Um die Wohnsituation in diesen informellen Quartieren zu verbessern, hat ein Architektenteam aus Hongkong ein Erweiterungsmodul für die Jurten entwickelt. Es löst gleich mehrere Probleme auf einmal und soll diesen Sommer in Serie gehen.

Bilder: Rural Urban Framework (RUF), Hongkong

Wir wollten auf die Wohnprobleme nicht einfach mit normalen Häusern reagieren, sondern auf dem aufbauen, was vor Ort vorhanden ist.

Joshua Bolchover > Interview

Die Jurte, von den Mongolen Ger genannt, ist ein Urtyp des modularen Bauens. Mit einem einfachen System lassen sich daraus rasch Behausungen unterschiedlicher Grösse erstellen. Das Konstruktionsprinzip ist standardisiert, die einzelnen Bauteile sind überall erhältlich, lassen sich einfach montieren, demontieren und transportieren. Traditionellerweise dienen die Jurten in der Mongolei als Unterkunft für Nomadenfamilien, die damit in den Steppen umherziehen. In den letzten 15 Jahren haben sich die Jurten immer mehr auch zu einer festen Behausung für einstige Nomaden entwickelt, die in den Aussenbezirken der mongolischen Hauptstadt Ulaanbatar sesshaft geworden sind. Aktuell leben rund 700 000 Menschen in den so entstandenen informellen Quartieren, sogenannten Ger-Distrikten. Jährlich kommen schätzungsweise 35 000 neu hinzu. Unterdessen machen die Ger-Bewohnerinnen und -Bewohner gegen sechzig Prozent der 1,2-Millionen-Hauptstadt aus.

Kein fliessendes Wasser und Smog

Grund für die Sesshaftigkeit der einstigen Nomaden sind eine Dürre im Sommer 2009 und ein sehr strenger Winter, der darauf folgte. Dies führte zum Tod von rund acht Millionen Nutztieren – traditionell die Lebensgrundlage der Nomaden. Viele suchten deshalb ein besseres Leben in der Hauptstadt, auch angelockt vom damaligen wirtschaftlichen Aufschwung, der vor allem durch die zahlreichen Rohstoffe des Landes stimuliert wurde. Doch 2015 brachen die Preise dafür ein. Trotzdem blieben die Nomaden in der Hauptstadt und leben dort seither unter sehr schlechten Bedingungen in ihren Gers. Fliessendes Wasser fehlt ebenso wie ein Abwassersystem, und in den harten Wintern mit Temperaturen bis zu minus 40 Grad heizen die Bewohnerinnen und Bewohner die nur leicht gedämmten Jurten mit Öfen, in denen sie unraffinierte Kohle verfeuern. Diese verursacht eine Smogwolke über den Quartieren. Das Trinkwasser muss zudem an Kiosks gekauft werden, und die Abwässer werden in Bodenlatrinen auf den Grundstücken entsorgt.

Plug-in-Modul für die Jurte

Seit 2014 erforscht die gemeinnützige Organisation Rural Urban Framework (RUF) der University of Hongkong die Probleme der Ger-Distrikte. Zur Verbesserung der Wohnverhältnisse entwickelte Architekt Joshua Bolchover 2017 den Ger Plug-in – ein Erweiterungsmodul für die traditionelle Jurte. «Wir wollten auf die Wohnprobleme nicht einfach mit normalen Häusern reagieren, sondern auf dem aufbauen, was vor Ort vorhanden ist», sagt Joshua Bolchover. Das Erweiterungsmodul enthält eine Küchenzeile, eine Dusche, ein WC samt Septiktank und einen Wasserspeicher, der tausend Liter fasst. Dazu kommen ein Elektroboiler für Warmwasser, eine Bodenheizung für die Jurte und den Anbau sowie eine Trombe-Wand. Diese besteht aus schwarzen, mit Sand gefüllten Kunststoffröhren hinter einer Glasscheibe und dient als Speicher für tagsüber einfallende Sonnenwärme. Die verglaste Trombe-Wand und Dachfenster bringen viel Licht in den Anbau und die Jurte. Für das Plug-in-Modul wird ein Viertelkreis des Gers entfernt. In diesem Bereich dockt die L-förmige Erweiterung an. Durch die konstruktive Verschränkung von Ger und Plug-in kann die Mittelstütze der Jurte entfallen. Der Anbau verbessert mit seiner Infrastruktur den Wohnkomfort massgeblich, und die Fläche des Gers kann alleine fürs Wohnen und Schlafen genutzt werden. Das mühsame Heranschleppen von Wasser entfällt ebenso wie der Gang zur eiskalten Latrine ausserhalb der Jurte. Die Messungen des RUF zeigen, dass die Innentemperatur dank der Bodenheizung im Winter um 2,5 Grad höher liegt und der Kohleverbrauch um 93 Prozent gesenkt werden kann – der Brennstoff wird fast nur noch zum Kochen auf dem traditionellen Ofen gebraucht. Dieser steht neu vor einer Backsteinwand, die als Wärmespeicher dient. Die restlichen Wände des Plug-in-Prototyps und die Dachkonstruktion bestehen grösstenteils aus Holz.

Basis für ein richtiges Haus

Insgesamt umfasst das Erweiterungsmodul eine Fläche von 53 Quadratmetern und kostet um die 10 000 Dollar. Durch die geraden Wände des Anbaus ergeben sich auch neue städtebauliche Möglichkeiten. So können zwei der Plug-ins Rücken an Rücken erstellt werden und einen Teil der Infrastruktur – etwa den Boiler oder den Septiktank des WCs teilen. «Der Prototyp, in dem seit 2017 eine Familie lebt, hat sich bewährt», bilanziert Architekt Bolchover. Die Fachleute des RUF haben das Modul unterdessen bis zum Typ 3.0 weiterentwickelt, das im Sommer 2022 in Serie gehen soll (siehe Interview). Die Ideen von RUF gehen aber noch weiter: Entscheiden sich die einstigen Nomaden endgültig, in Ulaanbatar sesshaft zu werden, und erlaubt es die wirtschaftliche Situation, könnte das Plug-in-Modul das erste Element eines festen Hauses bilden. Die Jurte würde dann abgebaut und durch richtige Zimmer ersetzt – beispielsweise in Holzfachwerkbauweise.

Projektdaten

GER PLUG-IN, BAYANKHOSHUU, ULAANBATAR (MONGOLEI), 2017

Architektur: Joshua Bolchover, Rural Urban Framework, Hongkong
Ausführung: ZAG Group LLC, Erdimbileg Nemekhbaatar, Mongolei

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.