Kenntnisse über die Idee und die Machart dieser Bauten erleichtern den sachgemässen Umgang mit ihnen.

Lucia Gratz, Architektin und Mitglied der Arbeitsgruppe System & Serie, ICOMOS Suisse

Hat das System? Ein Schulinnenraum, der an eine Industriehalle erinnert; ein alter Güterschuppen, vor dem Jugendliche einen Skaterpark aufgebaut haben; ein im Grün der Umgebung eingewachsenes, rotes Wohnhaus? Mit den Bildern des Fotografen Oliver Marc Hänni taucht die Leserschaft gleich auf den ersten Seiten tief ins Thema ein und staunt mächtig: So vielfältig ist der Systembau in der Schweiz. In der Nachkriegszeit «etablierte sich die ganze Bandbreite der Montage-Bauweise», schreibt Lucia Gratz etwa in ihrem Beitrag, «vom Skelettbau über den Grosstafelbau bis zum Raumelementbau». Ausserdem liessen sich, so die Autorin, Bausysteme unterscheiden, die in schwerer Vorfabrikation in Beton oder Mauerwerk hergestellt wurden, und solche der leichten Vorfertigung in Holz, Stahl oder Kunststoff.

Die inhaltlich reiche, schön gestaltete Publikation «Serie & System» versammelt die Forschungsarbeit und die Diskussionen der 2015 gegründeten, interdisziplinären Arbeitsgruppe System & Serie von ICOMOS Schweiz (Landesgruppe des internationalen Rats für Denkmäler und historische Stätten). Auf drei Essays, die soziologische, architekturhistorische und konstruktive Aspekte beleuchten, folgen 18 Beschriebe verschiedener Systeme sowie ihre beispielhaften Umsetzungen. In zwei Interviews befasst sich die Herausgeberschaft mit Bauphysik und Statik. Sehr wertvoll dürfte auch das Verzeichnis aller bis anhin bekannten Systembauten in der Schweiz sein – die Datenbank ist auch auf system-serie.ch abrufbar.

Leitfaden für die Denkmalpflege

Mit seinem umfassenden, interdisziplinären Blick soll das Buch insbesondere als Leitfaden für den denkmalpflegerischen Umgang dienen. Denn viele dieser Bauten, die in einer von Wachstumeuphorie geprägten Epoche entstanden, «waren auf eine schnelle Realisierung und weniger auf Alterung oder Reparaturfähigkeit ausgerichtet», schreibt die Architekturhistorikerin Isabel Haupt in einem abschliessenden Essay. Trotzdem, so die Autorin, ermöglichten die Flexibilität und die Veränderbarkeit von Systembauten auch das Weiterbauen; etwa beim mit dem System Crocs erbauten Collège de la Rouvraie in Lausanne, das aufgestockt wurde. Bausysteme könnten auch die denkmalgerechte Umnutzung erleichtern. Beispielhaft dafür steht ein privates, mit dem Stahlbausystem von Fritz Haller gebautes Wohnhaus in Solothurn, das zum Architekturbüro umfunktioniert wurde. Zudem begünstigten gerade grosse Baubestände die systematische Suche nach geeigneten Massnahmen. Dennoch, hält Haupt abschliessend fest, gebe es keine Standardlösungen und seien für das konkrete Objekte stets individuelle Abklärungen nötig. Und da sich die Denkmalwürdigkeit serieller Bauten sich «nicht ohne Kenntnis ihrer Entstehungsgeschichte und ihres Kontexts erschliesst», braucht es genau diese Publikation.

Bibliographie

«Serie & System. Systembau in der Schweiz – Geschichte und Erhaltung», hrsg. von Icomos Suisse, Arbeitsgruppe System & Serie, 208 Seiten, Zürich 2022, gta Verlag, Fr. 49.–

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