Das Bauhaus hat vor hundert Jahren auch im Bereich Design eine neue Ära eingeläutet. Wie präsent ist es heute noch in den Köpfen von Designerinnen und Designer?

Meret Ernst: Das Bauhaus ist einerseits kanonisiert, also Lehrstoff für angehende Designerinnen und Designer. Mit dem Effekt, dass viele das Bauhaus längst ad acta gelegt haben, wenn sie selbst tätig werden. Gemeinhin schaut Design ja lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit. Andererseits hat das aktuelle Jubiläumsjahr einmal mehr in Erinnerung gerufen, dass «Bauhaus» eine Haltung ist, die immer noch aktuell ist – doch dafür müssen wir von banalen Zuschreibungen wie «Bauhaus-Stil» absehen. Und das Branding in Frage stellen, mit dem Walter Gropius den Nachruhm der Institution über lange Jahrzehnte geprägt hat.

Wie viel Bauhaus steckt in heutigen Designentwürfen?

ME: Formal nicht viel. Fokussiert man aber auf die den Bauhaus-Entwürfen zugrunde liegende Didaktik, dann ist es heute selbstverständlich, dass überzeugende Entwürfe aus dem Zusammenspiel zwischen Werkstatt, dem Experiment im Material und einem theoriegeleiten Ansatz, einer Befragung der Grundlagen des Gestaltens, entstehen. Zumindest dort, wo dieser Ansatz in die Design-Ausbildung integriert und weiterentwickelt wurde, vermittelt sich das auch in den Entwürfen.

Gibt es vergessene Design-Ideen aus der Bauhaus-Zeit, die man heute wieder hervorholen sollte?

ME: Gestaltung als soziale, als «funktionell-kollektivistisch-konstruktive» Tätigkeit, wie sie der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer gerade von der Architektur radikal einforderte, könnte auch heute stärker Wirkung entfalten. Allerdings: Die Umstände sind andere als vor hundert Jahren. Es kann also nicht darum gehen, das Bauhaus wiederaufleben zu lassen. Doch die «Bauhaus-Idee», wonach die gestalterische Arbeit an Beziehungen immer politisch ist, hat auch heute Gültigkeit.

Eine Prämisse – preiswerte und funktionale Produkte zu entwerfen – erfüllte das Bauhaus damals kaum. Heute bietet Ikea genau solche Dinge an: Ist das schwedische Möbelhaus quasi der Nachfolger des Bauhauses?

ME: Die Frage bei einem solchen Vergleich ist immer, was man damit bezweckt: Das Bauhaus herabmindern oder Ikea legitimieren? Oder umgekehrt? Ikea hat in meinen Augen weniger die Designqualität als die Logistik perfektioniert, damit Preise gesenkt und die Verfügbarkeit erhöht. Eine Designleistung, unzweifelbar. In anderen historischen Umständen hätte das Bauhaus für die Produktion diesen Weg vielleicht auch gefunden – aber das Bauhaus war eben auch eine Schule mit spezifischen Aufgaben. Ikea nicht. Deshalb hinkt der Vergleich.

1911_portrait_meret_ernst_sw

Meret Ernst
Redaktorin Hochparterre, Vizepräsidentin Swiss Design Association

Die damalige Didaktik des Bauhauses ist heute selbstverständlich.

Meret Ernst

Weiter zum Thema Bauhaus

> Interview mit Andrea Mandia, Geschäftsleitung Teo Jakob AG
> Interview mit Jörg Boner, Produktdesigner
> Interview mit Irma Rodoncic, Architekturstudentin ETH und Präsidentin Fachverein Architektura
> Interview mit Patrick Blarer, Architekt und Präsident SIA-Fachverein Architektur und Kultur
> Interview mit Ita Heinze-Greenberg, Titularprofessorin für Architekturgeschichte an der ETH Zürich

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.