In der Schweiz gehören Stadtbrachen – insbesondere Bahnbrachen – zu den wenigen urbanen Gebieten, die zentral gelegen sind und noch gute Möglichkeiten für städtebauliche Experimente bieten. Wohnbaugenossenschaften nehmen die Herausforderung an. Bahnbrachen, deren künftige Nutzung noch unklar ist, bieten sich dritter als attraktive Verbindungen zwischen SBB-Immobilien und nahen Wohnquartieren an. In Genf geht eine Arbeitsgruppe mit gutem Beispiel voran: die Wohngenossenschaft für Auszubildende La Cigüe, die gemischte Genossenschaft für Aktivität und partizipatives Wohnen L’Habrik und das Architekturbüro Face à Face.

Bilder des modularen Baukonzepts, das für den Label_Co-Wettbewerb entworfen wurde. Die Ästhetik, inspiriert von futuristischen architektonischen Strömungen, regt die Phantasie an, anstatt ein geschlossenes Projekt zu präsentieren.

Visualisierungen: Atelier d’architecture Face à Face

Mit ihrem Vorschlag verweisen die Verfasser auf die radikalen urbanen Utopien und Happenings der 1960er-Jahre: Sie wollen einen wandelbaren, ökologischen Lebensraum schaffen.

Mobiles Wohnmodul

Nach einem mehrjährigen Reflexionsprozess hat das Projekt «Modularer Wohnungsbau» endlich Gestalt angenommen. EsSeine Verfasser haben es 2020 für den Wettbewerb Label_Co eingereicht, den der Verein Groupement des coopératives d’habitation genevoises anlässlich seines 20-jährigen Bestehens ausgelobt hatte. Das in der Kategorie «Utopie» eingereichte Projekt erkorenwählten sowohl die Expertenjury «Jurx» wie auch die Jury «Generation Z» zum Gewinner. Mit ihrem Vorschlag verweisen die Verfasser auf die radikalen urbanen Utopien und Happenings der 1960er-Jahre: Sie wollen einen wandelbaren, ökologischen Lebensraum schaffen, der mit bestehenden städtischen Hotspots und der aktuellen Stadtentwicklung eine Verbindung eingeht.

Diesen Lebensraum will das Triowollen die Initianten mittels Holzmodulen entwickeln und als Experimentierfeld an Übergangsorten – wie es Bahnbrachen in der Schweiz sind – aufstellen. Er soll das Entstehen neuer Wohnformen ermöglichen, die sich weiterentwickeln und später ins nächste Quartier oder die nächste Stadt weiterwandern. Da die Struktur je nach Bauzone Raum für unterschiedliche Funktionen wie Wohnen, Gewerbe oder Begegnungen bieten soll, eignet sich das modulare Bausystem dank seiner Flexibilität. «Wir wollten zeigen, dass der modulare Holzbau bezüglich Raum und Materialien qualitativ mindestens so gut ist wie ein massiver Bau», erläutert Aline Juon, Projektleiterin bei La Cigüe.

Holzmodule

Die Architekten von Face à face entschieden sich für Holzmodule anstelle von Stahlcontainer, die sich fürs Wohnen weniger gut eignen, und fragten verschiedene Holzbauunternehmen an – darunter Renggli –, um schliesslich ein Basismodul von drei Metern Breite und variabler Länge zu entwerfen. Der Schwerpunkt lag dabei weniger auf der Ausgestaltung der Module als vielmehr auf deren Einbettung in eine städtische Brache, sei es als Wohnraum oder als AktivitätsortBegegnungsort. Die Holzelemente werden in der Fabrik hergestellt, bevor sie transportiert und vor Ort zusammengebaut werden. 2016 gab es erste Kontakte mit der SBB bezüglich einer möglichen Setzung auf dem Montbrillant-Areal in Genf. Da die SBB von der Idee angetan war, schlug sie weitere Standorte in der Nähe der Kunst- und Theaterhochschule Manufacture in Lausanne und in Vevey vor. Die Standortstudie beinhaltete auch eine Schätzung der Kosten für den Bau und die spätere Verlagerung entsprechend der unterschiedlichen Anzahl von Stockwerken in den Gebäuden R+3 und R+4.

Wohnmodul vs. Gentrification

Der von den SBB geforderte Baurechtszins für Land, das eigentlich dem Bund – also dem Volk – gehört, stellt jedoch im Moment ein unüberwindbares Hindernis dar, um ein modulares Wohnprojekt gemäss der Vorstellung der Genossenschaften zu realisieren. Die Utopie könnte dennoch als zweiteiliges Projekt gelingen, indem die Rentabilität des kommerziellen Teils in einer Art Mischrechnung als Garantie für den experimentellen Teil des Projekts dient. Denn auch die SBB sind verpflichtet, ihre finanziellen Ambitionen mithilfe sozialer Projekten etwas auszugleichen. Mittels der Modulwohnungsbauten könnten die städtischen Brachen vorübergehend belebten werden. Eine gute Gelegenheit, um neue Wohnformen in Symbiose mit urbanen Hotspots und Kleingewerbe auszutesten und die Arealnutzung zu überdenken. Indem sich die Bewohner den durch temporäre Modulbauten abgegrenzten öffentlichen Raum aneignen, könnten sich soziale Beziehungen ohne Kapitalinteresse als eine Form des Bürgerwiderstands entfalten.

Wir wollten zeigen, dass der modulare Holzbau bezüglich Raum und Materialien qualitativ mindestens so gut ist wie ein massiver Bau.

Aline Juon, Projektleiterin La Cigüe

Darstellung des Potenzials für die Verschiebung von Projekten über das Eisenbahnsystem, das ein ausgedehntes Verbindungsnetz zwischen verschiedenen Bezirken und Städten in der Schweiz und sogar im Ausland aufspannt.

Projektpartner
Coopérative de logement pour personnes en formation La Cigüe: https://cigue.ch
Coopérative mixte d’activité et d’habitation participative L’Habrik: https://lhabrik.ch
Atelier d’architecture Face à face: https://faceaface.ch

Bilder 1–3 | Studie für den Bau eines Gebäudes für Studentenunterkünfte und Aktivitäten auf dem SBB-Gelände in Montbrillant, Genf.

Bild 4 | Verschiedene mögliche Typen von Wohnräumen, je nach Art und Anzahl der Module. Die Organisation der Unterkünfte wurde so gestaltet, dass sie als Wohngemeinschaften von Studierenden der La Cigüe genutzt werden können.

Bilder: Atelier d’architecture Face à Face

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.