Nicht zuletzt dank Holzelement- und Holzmodulbauweise können Aufstockungen einfach realisiert werden. Dass sie trotz Wohnraummangel nicht häufiger zur Anwendung kommen, hängt nicht zuletzt mit der rekurswilligen Nachbarschaft zusammen.

Mehrfamilienhaus Birmannsgasse Basel von Salathé Architekten

Bild: Michael Fontana

Das grösste Hindernis sind heutzutage Einsprachen von Nachbarn.

Karl Viridén, Viridén +Partner, Zürich

Egal ob Zürich, Lausanne oder Bern: Wohnraum ist in den grossen Städten und ihren Agglomerationen knapp, und unbebaute Grundstücke für neue Mehrfamilienhäuser sind Mangelware. Zudem sollten, mit Blick auf heisser und trockener werdende Sommer, bestehende Grünflächen möglichst nicht überbaut werden.

Ein grosses, relativ rasch nutzbares Potenzial, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, schlummert meist ungenutzt vor sich hin: Aufstockungen. Gemäss Erhebungen des Immobilienberatungsunternehmens IAZI aus Zürich von 2023 könnten durch den Bau zusätzlicher Geschosse auf bestehenden Gebäuden schweizweit rund 67 000 neue Wohnungen geschaffen werden, mit Platz für 135 000 Menschen. In der Stadt Zürich hätte es gemäss Studie Platz für 27 000 Wohnungen, in Lausanne für 9900 und in Bern für 9300. Die ETH stellte die publizierten Zahlen – nicht zuletzt mit Blick auf die Statik – ein Stück weit in Frage, doch selbst, wenn nur ein Teil des Potenzials genutzt werden könnte, liessen sich zahlreiche neue Wohnungen erstellen.

Rekurse sind ein Killerkriterium
Warum wird dieses Potenzial also nicht längst genutzt? Rechnet sich der Aufwand nicht? Sind die Auflagen von Behörden zu gross? Lassen die Baugesetze eine erhöhte Ausnutzung gar nicht zu?

«Das grösste Hindernis sind heutzutage Einsprachen von Nachbarn», sagt Karl Viridén vom Architekturbüro Viridén +Partner aus Zürich. Er hat in den letzten fünfunddreissig Jahren verschiedene Aufstockungen von Mehrfamilienhäusern realisiert. Weitere Projekte ruhen aber in der Schublade oder befinden sich auf dem Weg durch die gerichtlichen Instanzen. Das Risiko langjähriger rechtlicher Streitigkeiten, so Karl Viridén, halte viele Eigentümer davon ab, ein Aufstockungsprojekt an die Hand zu nehmen. Und dies, obwohl aus seiner Sicht die Vorteile auf der Hand liegen: Das Grundstück ist bereits vorhanden, die vertikale Erschliessung sowie grosse Teile der Haustechnik ebenso, der Grünraum wird geschont und die vorhandene Bausubstanz nicht für einen Ersatzneubau geopfert.

Auch finanziell geht die Rechnung in der Regel auf: «Bei Mietpreisen von 250 Franken pro Quadratmeter und Jahr aufwärts sowie einer genügend hohen Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt stimmt die Rendite in der Regel», sagt Diego Trutmann, Bauingenieur sowie Master of Science Raumentwicklung und Infrastruktursysteme. Er hat seine ETH-Masterarbeit 2019 zum Potenzial von Aufstockungen in der Stadt Zürich geschrieben. Das Fazit seiner Arbeit: Aufstockungen sind bezüglich Verdichtung «low hanging fruits», die nur gepflückt werden müssten. Damit die Ernte eingefahren werden kann, braucht es gemäss Karl Viridén aber politische Massnahmen: «Die Baugesetze müssen so geändert werden, dass Nachbarn Verdichtungsprojekte nicht mehr mit vorgeschobenen Argumenten, wie etwa dem Lärm- und Grundwasserschutz zusammen mit dem ISOS, blockieren können.» In diese Richtung zielte auch die 2024 in Zürich lancierte Volksinitiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung». Die nötigen Unterschriften kamen zwar zusammen, wegen Unvereinbarkeit mit übergeordnetem Recht möchte der Zürcher Stadtrat die Initiative aber für ungültig erklären lassen.

Lösbare Herausforderungen
Abgesehen vom Rekursrisiko lassen sich die mit einer Aufstockung verbundenen planerischen und baulichen Herausforderungen meist mit vernünftigem Aufwand bewältigen – vorausgesetzt die lokalen Baugesetze lassen zusätzliche Geschosse und mehr nutzbare Fläche zu. Dies ist vielenorts bereits der Fall oder wird künftig im Rahmen von Revisionen der Bauordnungen ermöglicht. Dass Aufstockungen eine gut gangbare Option sind, zusätzliche Nutzflächen zu schaffen, zeigen auch verschiedene Studien aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Die wichtigsten Erkenntnisse:

Eignung der Gebäude: Eine Studie der Technischen Universität Darmstadt zeigt, dass bei den meisten bestehenden Wohngebäuden die Traglast-Reserve für mindestens ein zusätzliches Geschoss gegeben ist. Besonders gut geeignet sind gemäss Erhebungen der Zürcher Kantonalbank Gebäude aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende, da diese über eine besonders robuste Grundstruktur verfügen. Das zeigen auch in den letzten Jahren in Zürich realisierte Beispiele.

Erschliessung: Die vorhandene vertikale Erschliessung genügt meist. Ist aufgrund der zusätzlichen Wohnungen aufgrund der Auflagen zur hindernisfreien Erschliessung ein Lift nötig, kann dieser in den meisten Fällen auch realisiert werden.

Statik: Hier kann der Holzelement- und Holzmodulbau seine Stärken ausspielen. Durch das geringe Gewicht dieser Konstruktionen wird die bestehende Gebäudestruktur nicht übermässig belastet. So sind oft keine oder nur geringe Eingriffe nötig. 

Haustechnik: Werden gleichzeitig mit der Aufstockung die bestehenden Geschosse energetisch ertüchtigt, sinkt der Gesamtenergiebedarf und reicht die Leistung der bestehenden Haustechnikanlagen meist aus.

Nicht zu unterschätzen ist die soziale Komponente von Aufstockungen: Wird gleichzeitig mit dem Bau zusätzlicher Geschosse auch das Bestandsgebäude umfassend saniert, kann es zu Leerkündigungen und entsprechenden Mietpreisaufschlägen kommen. Das muss aber nicht sein: Ist die Substanz der Liegenschaft gut, kann die Aufstockung problemlos in bewohntem Zustand durchgeführt werden, und es ist möglich, die Mieten in den Altbauwohnungen auf dem bestehenden Niveau zu belassen. Bei solchen sozialverträglich umgesetzten Aufstockungen spielen Holzelement- und Holzmodulkonstruktionen eine wichtige Rolle: Sie halten die Bauzeit kurz und die Beeinträchtigungen für die Mieterschaft möglichst gering.

Aufstockungen sind bezüglich Verdichtung «low hanging fruits», die nur gepflückt werden müssten. Damit die Ernte eingefahren werden kann, braucht es gemäss Karl Viridén aber politische Massnahmen.

Wohnsiedlung Lindendorf Ostermundigen

Standort: Unterdorfstrasse, Ostermundigen
Baujahr Bestandesgebäude: 1981
Aufstockung: 2022/2023
Architektur: W2H Architekten, Bern (Erarbeitung Gestaltungskonzept für die gesamte Siedlung und Umbau von drei Häusern)

Die zwölf Mehrfamilienhäuser wurden um jeweils zwei oder drei Geschosse aufgestockt, dadurch konnte der Wohnungsbestand um 110 Einheiten erhöht werden. Die zusätzlichen Geschosse heben sich in ihrer Farbigkeit und Materialisierung klar von der Optik der Bestandesbauten aus den 1980er-Jahren ab.

https://www.w2h.ch/portfolio/sanierung-und-aufstockung-lindendorf-ii-ostermundigen/

Bild: Rolf Siegenthaler

Büros Kantonsverwaltung Lausanne

Standort: Rue de l’Université
Baujahr Bestandesgebäude: ca. 1970
Aufstockung: 2018
Architektur: LAST, Labor für nachhaltige Architektur und Technologien der EPFL, Lausanne

Um den zusätzlichen Raumbedarf der kantonalen Verwaltung zu decken, wurde das bestehende Bürogebäude um ein Geschoss erweitert. Das Projekt basiert auf einem von der EPFL Lausanne entwickelten modularen System für Aufstockungen von Bürogebäuden. Dank diesem dauerte die bauliche Umsetzung nur gerade vier Monate.

https://www.modulart.ch/die-waadtlaender-kantonsverwaltung-waechst-in-die-hoehe/

Bild: Olivier Wavre

Mehrfamilienhaus Birmannsgasse Basel

Standort: Birmannsgasse 47, Basel
Baujahr Bestandesgebäude: Ende 19. Jhdt.
Aufstockung: 2017
Architektur: sabarchiteken (heute: Salathé Architekten), Basel
Bauweise Aufstockung: Holzelementbau

Das ursprüngliche Estrichgeschoss des Gründerzeithause wurde durch zwei neue Stockwerke mit einer Maisonettewohnung ersetzt. Die Aufstockung ist analog zum Altbau verputzt. Die grossen Fenster mit Storen statt Fensterläden differenzieren die neu aufgesetzten Stockwerke aber klar vom Bestand.

https://salathearchitekten.ch/werkliste

Bild: Michael Fontana

Mehrfamilienhaus Roth-/Hofwiesenstrasse Zürich

Standort: Roth-/ Hofwiesenstrasse, Zürich
Baujahr Bestandesgebäude: 1982
Aufstockung: 2016
Architektur: Viridén + Partner AG, Zürich
Bauweise Aufstockung: Holzelementbau

Das Eckhaus wurde um ein Geschoss mit Raum für zusätzliche Wohnungen aufgestockt. Gleichzeitig erfolgte eine Sanierung der gesamten Liegenschaft und die Einkleidung mit einer Photovoltaik-Fassade sowie der Bau einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Dadurch kann der gesamte Energiebedarf des Gebäudes gedeckt werden.

https://www.viriden-partner.ch/plus-nullenergiehaeuser

Bild: Viridén + Partner AG, Zürich

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.