Forscher gehen davon aus, dass schon Kinder in der Steinzeit mit primitiven modularen Spielsystemen gespielt haben. Das legen jedenfalls archäologische Funde nahe. Einfache Bausteine und Bauklötze aus den verschiedensten Materialien gehören wohl zu den ältesten Spielzeugen der Welt. Seit jenen Tagen hat eine grosse Entwicklung stattgefunden.

Bild: Salzburg Museum

Modularer Pionier: Der Anker-Steinbaukasten

Das erste bekannte systematische Bauspiel für Kinder wurde vom deutschen Pädagogen Friedrich August Wilhelm Fröbel (1782 – 1852) entwickelt und ab 1838 eingesetzt. Es besteht aus Holz und hat einen Kubus als Grundform. Fröbel gilt als Begründer der Spielpädagogik und Erfinder des Kindergartens. Sein Erziehungsziel waren freie, denkende, kreative Menschen, welche die Welt als Spiel erfahren. Auf seinem didaktischen Ansatz basiert auch der berühmte Anker-Steinbaukasten, der durch ein System aus aufeinander aufbauenden Ergänzungskästen mit beiliegenden Bauanleitungen als der Prototyp des Systemspielzeugs gilt.

Die Anker-Bausteine wurden vom Luftfahrtpionier Otto Lilienthal und seinem Bruder Gustav erfunden, die 1875 durch die Holzbausteine Fröbels inspiriert, eine Rezeptur zur Herstellung von Mineralbausteinen entwickelten. Deren Präzision und Stabilität liess es zu, auch ohne Noppen oder Bindemittel grössere Gebäude zu bauen. Die Bausteine weisen eine glatte Oberfläche auf, der Zusammenhalt der Gebäude basiert allein auf der Statik.

Die Brüder waren aber nicht mit einem besonderen Vermarktungstalent gesegnet und verkauften die Rezeptur an den Unternehmer Friedrich Adolf Richter. Dieser liess sie patentieren und produzierte die Steine ab 1882 in seiner pharmazeutischen Fabrik im thüringischen Rudolstadt. Aus einem langwierigen Patent- und Konventionalstreit ging er schliesslich als Sieger hervor. Architekten, Künstler und Illustratoren entwickelten Vorlagen, und die Anker-Steinbaukästen gewannen zahlreiche internationale Auszeichnungen. Um die Jahrhundertwende verliessen jedes Jahr nahezu 40’000 Baukästen das Werk. Auch Albert Einstein oder Heinz Rühmann spielten als Kinder damit. 1963 verfügte allerdings die damalige DDR-Führung die Einstellung der Produktion, die seit 1995 aber wieder läuft.

Spiel ist nicht Spielerei. Es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung.

Friedrich Froebel, Pädagoge

Lego – der Siegeszug des Kunststoffs

Die Verbreitung der Kunststoffe nach dem Zweiten Weltkrieg brachte modularen Spielsystemen einen gewaltigen Schub und führte zur Geburtsstunde der Firma Lego, die bis heute der Marktführer, und zwar nicht nur im Bereich des Konstruktionsspielzeugs, sondern in der gesamten Spielzeugbranche ist. Der dänische Tischlermeister Ole Kirk Christiansen gründete das Unternehmen 1932 zunächst zur Herstellung von Holzspielzeug. Die Legosteine wurden 1949 eingeführt. Die britische Firma Kiddicraft hatte prinzipiell baugleiche Spielzeugsteine aus Kunststoff bereits seit Ende der 1930-er Jahre produziert. Lego übernahm das Design, nachdem Christiansen Muster des englischen Fabrikats erhalten hatte. Da Kiddicraft damals nur das Patentrecht in Grossbritannien erworben hatte, konnte Lego das Produkt international vertreiben. Nach dem Tod des Kiddicraft-Gründers kaufte Lego dessen Unternehmen auf.

Die Unterseite der ersten Lego-Steine war damals allerdings noch völlig hohl, was dazu führte, dass die gebauten Modelle nicht besonders stabil waren. Mit der Integration von Röhren wurde das Problem behoben. Dieses Kupplungsprinzip wurde 1958 zum Patent angemeldet – und lief 1988 aus. Deshalb gilt das Jahr 1958 als die eigentliche Geburtsstunde des berühmten Lego-Steins, wie man ihn heute kennt. Firmengründer Christiansen, der Pazifist war und 1958 starb, würde sich wohl heute im Grab umdrehen, wenn er sähe, was aus seinem Lebenswerk geworden ist. Er soll nämlich einmal gesagt haben, dass die Verwendung von Waffen in Lego-Spielzeugen für ihn undenkbar sei. Heute ist die Lego-Star Wars-Themenwelt die erfolgreichste Produkt-Sparte im Konzern, der mittlerweile unter anderem auch Freizeitparks betreibt und Kinofilme produziert. Das Wort „Lego“ leitet sich übrigens vom dänischen „leg godt“ („spiel gut“) ab.

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Bild: Alphacolor 13 on Unsplash

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Der Autor
Tom Felber ist Journalist und Spielexperte. Zwischen 1997 und 2016 verfasste er die wöchentliche Spielkolumne in der NZZ-Beilage.

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